Tod vor der Geburt

(Vortrag von Ulrike Grass zum Tag des Friedhofes in Langenwinkel – Oktober 2014)

Wie es früher war und was heute möglich ist

Simon

Als unser Sohn Simon 1987 während einer scheinbar normalen Geburt in der 39.SSW starb, hätten wir ihn nicht mal beerdigen müssen. Er wog 3700g und war 52cm groß. Wir hätten ihn in die Pathologie geben können, sie hätten uns die Bestattung abgenommen wie auch immer? Ich will es gar nicht wissen!

Das haben wir nicht getan, sondern mein Mann hat ihn mit der Familie und seinem Onkel, der Pfarrer war, im Grab seiner Großeltern beigesetzt.

Wegen des Notkaiserschnitts konnte ich nicht dabei sein, konnte nicht von ihm Abschied nehmen, das heißt ich habe ihn gar nicht gesehen und das einzige Foto von ihm ging in der Klinik verloren.

Ich hatte ihn 9 Monate im Bauch, hab mich riesig auf ihn und ein Leben mit ihm gefreut, und dann war er plötzlich weg. Der Trauerprozess verlief entsprechend schlecht und es vergingen Jahre bis ich es so akzeptieren konnte wie es war. Ich habe lange versucht es zu verdrängen und mich abzulenken, bis ich bemerkt habe dass sich die Trauer ihren Weg sucht.

Ich denke es hätte anders gehen können, aber damals war man der Meinung dass es am besten ist das Erlebte schnell zu vergessen und mit einer neuen Schwangerschaft wieder gut zu machen. „Sie sind ja noch so jung“ —– „Sind sie doch froh, er hätte ja behindert sein können.“

Betroffene

Damit Betroffene darüber reden können, habe ich 1994 die Selbsthilfegruppe „Sternschnuppe“ gegründet —- es ist eine Selbsthilfegruppe für Eltern die ihr Kind vor- während oder kurz nach der Geburt verloren haben. Und es ist sehr wichtig über das Erlebte reden zu dürfen, denn die Umwelt kann oft nicht nachvollziehen, dass man umso ein kleines Wesen trauert—„es hat doch noch gar nicht gelebt!“

Im Laufe dieser 20 Jahre habe ich viele ähnlich Betroffene, meist Frauen, kennengelernt und festgestellt dass sich in Bezug auf Abschied, Trauer und Bestattung auch eines Fehl- bzw. totgeborenen Kindes viel zum Positiven verändert hat.

Die bundesweite „Initiative Regenbogen“ hat sich dafür eingesetzt und viel erreicht, aber auch die örtlichen Selbsthilfegruppen und Trauernetzwerke.

Die Situation heute

Heute werden die Eltern in den Kliniken ermutigt ihr totes Kind anzuschauen und in Ruhe Abschied zu nehmen, man lässt ihnen viel Zeit, macht Fotos, Fußabdrücke usw., damit sie Erinnerungen haben und realisieren können dass ihr Kind tot ist, aber existiert hat, und immer ihr Kind sein wird und immer einen Platz inmitten der Familie hat. Und ich habe noch nie von Betroffenen gehört, dass sie es bereut hätten ihr totes Baby anzuschauen, auch nicht bei Missbildungen, im Gegenteil!

Die Eltern bekommen eine Kerze oder ein Kreuz, können ihr Kind waschen und anziehen. Die Klinikseelsorger segnen oder taufen das Baby.

Ganz Kleine werden nicht in die kalte Nierenschale gelegt sondern in ein sogenanntes Moses-Körbchen. Das ist ein kleines Körbchen in welches sie, in ein Tuch eingewickelt, gelegt werden.

Es gibt auch bereits Bestatter bei denen die Eltern und Geschwister den kleinen Sarg ganz individuell bemalen können.

In den dörflichen Abschiedsräumen bekommen die Eltern den Schlüssel und können so oft hingehen wie sie wollen bis zur Beerdigung.

Bestattungsmöglichkeiten

Kinder >500g werden in einem eigenen Kindergrab oder in einem bereits vorhandenen Familiengrab beerdigt.

Kinder <500g werden in den meisten Städten auf speziellen Grabfeldern bestattet.

In Lahr findet seit 2002 1/4jährlich eine Beerdigung mit der Klinikseelsorge auf dem Gräberfeld dem „Gedenkmal der zu Frühchen“ statt. Die Kleinen bleiben solange in der Pathologie und werden dann zusammen in einem kleinen Sarg, den ein Mitarbeiter des Bauhofs anfertigt, beigesetzt. Manche Leute stören sich an der Sammelbestattung, aber ich persönlich finde es schön, dass sie nicht so alleine sind. Die Beerdigung ist sehr würdevoll und feierlich, denn die Würde ist gewichtslos! Die Eltern, die nicht daran teilnehmen wollen oder können haben später einen Ort für ihre Trauer. Diese Stätte ist sehr lebendig, man merkt an den vielen kleinen Engeln, Plüschtieren und Windrädchen, dass hier viele Menschen vorbeikommen. Die Umsetzung der Gedenkstätte gelang durch die Arbeitsgemeinschaft „Netzwerk Trauer“, des Klinikums Lahr und der Stadt Lahr. Die Kosten der Bestattung übernimmt die Stadt Lahr.

Fotos um danach das Geschehene zu begreifen

Sehr wichtig ist auch ein Foto bzw. Fotos des verstorbenen Kindes für die Eltern und die Geschwister. Oft ist das Bild das einzige Andenken … die einzige greifbare Erinnerung. Ich habe von vielen Frauen den Satz gehört: „Meine ganz große Angst ist, dass ich vergesse wie er/sie ausgesehen hat.“

Mütter aus unserer Gruppe haben mir 2 Bilder von ihren toten Babys zu Verfügung gestellt, die ich ihnen gerne zeigen möchte. Wer sie nicht sehen will kann ja kurz die Augen schließen!

Luis starb in der 23. SSW, seine Mutter hatte das sogenannte HELP-Syndrom, dabei wird das Baby nicht mehr versorgt und die Mutter ist in großer Lebensgefahr, wenn das Kind nicht geholt wird, meistens sind die Kinder dann zu klein um zu überleben. Er ist hier auf dem Bild mit seiner Schwester Katharina, die nach ihm gesund geboren wurde.

Und Franka starb in der 29. SSW an Trisomie 13, ein Gen-Defekt bei dem die Kinder nicht lebensfähig sind.

Auch wenn sie jetzt vielleicht denken da sind Veränderungen oder Verfärbungen an der Haut, Eltern sehen ihre Kinder mit den Augen der Liebe! Auch missgebildete Kinder. Christian Morgenstern hat einmal gesagt:

Schön ist eigentlich alles, wenn man es mit Liebe betrachtet.

Auch beim Standesamt hat sich einiges geändert, so bekommen totgeborene Kinder heute eine Geburts- und Sterbeurkunde. Als ich 1999 nachträglich den Namen meines Kindes in die Sterbeurkunde eintragen lassen wollte, hat mich der Standesbeamte angeschaut als käme ich vom Mond und mich wissen lassen, dass er für sowas jetzt keine Zeit hätte! Er hat sich dann aber informiert, nachdem ich nicht locker lies und es später getan.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein Gedicht von Julie Fritsch, einer betroffenen Mutter vortragen:

Ich heiße dich willkommen-

und gleichzeitig nehme ich in Trauer

von dir Abschied,

während ich dich in meinen Armen halte.

Dich, der mir wohlbekannt war,

in der Tiefe meines Herzens.

Du bist so wirklich für mich,

für diese kurzen Momente,

und doch für alle Ewigkeit.